Julius Betschka ist verantwortlicher Redakteur für die Berliner Landespolitik beim Tagesspiegel. Zum 1. Oktober wechselt er als Chefreporter ins Hauptstadtbüro. Dort wird seine Aufgabe die Parlamentsberichterstattung sein.
Was macht eine gute landespolitische Geschichte aus und was macht eine gute bundespolitische Geschichte aus? Gibt es überhaupt einen sinnvollen Unterschied?
Ein guter Text ist sauber recherchiert, verständlich geschrieben und interessiert die Leser. Als Kür macht das Lesen – ja, gerade bei politischen Texten! – richtig Spaß, weil Autorin oder Autor sich die Mühe gemacht haben, anschaulich, anekdotenreich und, je nach Thema, humorvoll zu schreiben.
Die gute politische Geschichte zeichnet sich in ihrer Wirkung dadurch aus, dass sie eine Debatte beginnt, prägt, mindestens weiterentwickelt oder, falls nötig und möglich, vom Kopf auf die Füße stellt. Alles dazwischen ist manchmal nicht zu verhindern, aber sicherlich nicht der Anspruch an einen guten politischen Text. Eine Ausnahme bilden sicher die sogenannten Schlüssellochgeschichten, die ihren Wert aus besonderer Anschaulichkeit, Tiefe und manchmal auch, siehe oben, ihrem Humor ziehen.
Das alles gilt, denke ich, für alle politischen Texte. Über alle weiteren, sicher feinen Unterschiede zwischen bundes- und landespolitischen Journalismus traue ich mir erst in einigen Monaten ein öffentliches Urteil zu.
In den Wahlprognosen liegt die AfD bei über 20 Prozent. Sind deren Anhänger für Medien überhaupt noch ansprechbar? Und wenn ja, wie?
Ja, daran glaube ich fest, zumindest ein relevanter Teil bleibt ansprechbar. Man muss diese Partei, die AfD, als das behandeln, was sie in weiten Teilen ist: eine Gefahr für die Demokratie. Gleichzeitig sollen Journalisten nicht den Fehler machen, ihre Wähler zu ignorieren, als dumm oder für immer rechtsextrem abzustempeln. Das gibt maximal Applaus von denen, die eh schon auf der eigenen Seite sind. Journalismus, der nüchtern, aber klar und kritisch über Probleme schreibt und dabei Lösungsansätze aufzeigt, kann Menschen für diese Gesellschaftsordnung (zurück-)gewinnen.
Gleichzeitig glaube ich, dass viele Menschen ein feines Gespür dafür haben, ob ihnen Journalisten das Geschehen in der Welt facettenreich erklären möchte oder ihnen ihre konkrete Sicht auf die Welt übereignen will. Die Aufgabe von Journalismus ist in jedem Fall Ersteres, meist aber nicht Letzteres. Mein Eindruck ist, dass umso mehr Menschen für Journalismus ansprechbar bleiben, desto weniger er zum Weltanschauungsunterricht gerät. Das gilt über AfD-Wähler hinaus.
Journalismus muss Gesellschaft in erster Linie abbilden. Deshalb gendere ich zum Beispiel privat, aber nicht in meinen Texten: Jeder Genderstern würde den Text zu einem politischen Statement machen, der die eigentliche Nachricht überstrahlt. Damit verliere ich eine Mehrheit der Leser. Warum sollte ich das wollen, wenn ich möglichst umfassend und breit informieren möchte?
Kai Wegner, der Regierende Bürgermeister, mischt auch in der Bundespolitik mit. In Berlin scheint er nach 100 Tagen seine Rolle gefunden zu haben. Was erwarten Sie von ihm auf Bundesebene?
Kai Wegner hat viele Beobachter und auch Parteifreunde mit seiner ruhigen, fast präsidialen Amtsführung überrascht. Besonders in der Berliner SPD hatte sich mancher schon auf drei Jahre mit einem schwachen Regierungschef gefreut, der es den Sozialdemokraten leicht machen würde, 2026 das Rote Rathaus zurückzuerobern. Danach sieht es bisher nicht aus. Allerdings drohen die wirklich schwierigen Fragen auch erst noch, vom Wohnungsbau über Flüchtlingsunterbringung bis hin zu Enteignungen.
Es war klug von Wegner, sich als einer der ersten Merz-Kritiker nach dessen Aussagen zur AfD zu positionieren. Gefreut wird er sich auch darüber haben, dass Merz kurz vorher noch seinen Intimfeind Mario Czaja als Generalsekretär rausgeworfen hat. Wegner hat seither bundespolitisch stark an Gewicht gewonnen, auch wenn der Einfluss des Berliner Landesverbandes begrenzt bleibt.
Für Merz ist das schmerzhaft: Wegner war mal einer seiner Unterstützer der ersten Stunde, deshalb steht sein Name besonders für Merz‘ Machtverfall in der CDU. Wegner ist inzwischen klar im Lager von Hendrik Wüst. Wenn dieser einmal zum Parteivorsitz und der Kanzlerschaft greifen sollte, erinnert er sich vielleicht daran, wer mal als erster und mit weit offenem Visier Merz anging.
Das Interview hat Matthias Bannas geführt. Er ist Herausgeber der wöchentlich erscheinenden berlinbubble.
Foto: Tagesspiegel/Nassim Rad